Rund 300 Menschen gingen in diesem Jahr beim Schweigegang zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vor 80 Jahren durch Lechenich. Pfarrerin Sabine Pankoke, Organisator Hermann Göhring und Bürgermeister Volker Erner begrüßten die Teilnehmer am alten jüdischen Friedhof „An der Schleifmühle“. Von dort ging es zum Markt, wo Schüler ihre Eindrücke aus dem Besuch der ehemaligen Konzentrationslager in Birkenau und Auschwitz vortrugen. In der Judengasse stand einst die Lechenicher Synagoge. Dort wurden die Namen ermordeter Lechenicher Juden verlesen. Außerdem gab es gefühlvolle Musik auf der Klarinette. Über die Bonner Straße ging es zum neuen jüdischen Friedhof. Hier verlas Jochen Schindler ein Essay über die Bedeutung von Toleranz in heutiger Zeit und ihre Feinde. Sabine Pankoke bedankte sich für den Einsatz aller Beteiligten, hob heraus, wie schön die Teilnahme von nach Erftstadt geflüchteten Menschen beim Schweigegang ist. Sie hatten sich nach der Auftaktveranstaltung der „Interkulturellen Woche“ am Nachmittag, als verschiedene Kulturen ihre Kaffeetraditionen präsentierten, dem Schweigegang angeschlossen.
Nach dem Schweigegang wurde in der Kirche der Versöhnung eine Gedenkveranstaltung angeboten, die viele Menschen ansprach. Zahlreiche Besucher fanden keinen Sitzplatz mehr und hörten stehend die 90 Minuten zu.
Cornelius Bormann berichtete vom jüdischen Leben in Erftstadt und der Reichspogromnacht, bei der Lechenicher, gedeckt und unterstützt von den Behörden, Häuser verwüsteten und die Synagoge in Brand steckten. Mirco Leibig las Auszüge aus dem Buch „Heimat an der Erft“ von Heidi und Cornelius Bormann. Darin wird das Schicksal der Familie Schwartz detailliert beschrieben. Die ganz persönliche Geschichte einer Lechenicher Familie machte das Geschehen nachvollziehbar und viele Zuhörer betroffen.
Florian Winters und Marie Goergen lasen eigene Erzählungen, in der sie sich in die Reichspogromnacht als Zuschauer versetzten. Die jungen Leute bezogen klar Stellung, zeigten aber vor allem mit wortmächtigen Bildern, was geschehen ist.
Chansonette Henriette Küllmer sang „Irgendwo auf der Welt“ und „Ich weiß es müsste einmal ein Wunder geschehen“. Lieder jüdischer Komponisten, deren Texte für viele erstmals in einem anderen Licht erschienen.
Der Mundartspielkreis St. Kilian erinnerte mit der „Edelweißpiraten-Ballade“ daran, dass es Widerstand gegeben hatte und Philipp Wasmund sang „EL-DE Haus“, ein Stück über das Gestapo Gefängnis in Köln.
Zum Abschluss trugen Schüler ihre Gedanken über die Reichspogromnacht in Gedichtform vor und Shulamit Grohmann sang hebräische Lieder. Gebete, die Verstorbenen gewidmet waren. Während der Veranstaltung wurden Fotografien jüdischer Mitbürger gezeigt, die eins in Erftstadts Ortsteilen lebten, zusammengestellt von Martin Tilke und Janina Horn-Tilke. Bilder des Wettbewerbs der Kulturhauses zum Thema „Jüdische Friedhöfe“ waren nochmals zu sehen. Nach der Veranstaltung gab es Essen der „Refugee-Kitchen“.
Der Ökumene-Ausschuss in Erftstadt hatte den Schweigegang organisiert. Die Gedenkveranstaltung wurden von den Kulturvereinen des Netzwerks kult-IG vorbereitet.
18:00 Uhr – Schweigegang, Schleifmühle
19:30 Uhr – Gedenkabend, Kirche der Versöhnung
Auch in den Ortsteilen die heute zu Erftstadt gehören, wurden am 9. und 10. November 1938 jüdische Mitbewohner angegriffen und gequält, ihr Eigentum zerstört. Es waren vor allem ganz normale Menschen, Nachbarn, die in der Reichspogromnacht zu Tätern wurden. Geplant und angestachelt wurde diese brutale Zäsur in der deutschen Geschichte von Mitgliedern der NSPAP und der SA, mit Unterstützung von Polizei und Feuerwehr.
Seit Jahren erinnert der Ökumene Ausschuss in Erftstadt an diese Nacht mit einem Schweigegang, beginnend um 18 Uhr am jüdischen Friedhof in der Lechenicher Schleifmühle.
Für den 80. Jahrestag, am 9. November 2018, organisieren die Kulturvereine des Netzwerkes kult-IG im Anschluss an den Schweigegang ab 19:30 Uhr, eine Gedenkveranstaltung in der Kirche der Versöhnung Lechenich. Mit Texten und Musik werden die Erinnerungen an die Reichspogromnacht wachgehalten.
Zum Hintergrund:
Weil wir uns Hass, wie jetzt in der Synagoge von Pittsburg, USA, geschehen, nicht leisten können und wollen, haben die Vereine der kult-IG einen großen Abend unter dem Titel „Für das Erinnern“ vorbereitet.
In Originaltexten wird lebendig, was damals geschah.
Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Lechenich machen deutlich, dass sich Hass gegen schwache Minderheiten und deren Ausgrenzung auch heute, auch in Erftstadt immer mehr breit machen.
Die Sängerin Henriette Küllmer singt Lieder, die heimlich in KZs gesungen wurden: „Irgendwo auf der Welt gibt‘s ein kleines bisschen Glück.“
Eine andere Sängerin, Shulamit Grohmann, singt auf Hebräisch von der großen Sehnsucht nach Shalom, nach Frieden.
Kölsch ist auch dabei: Der Mundartspielkreis St. Kilian erinnert an die Edelweißpiraten in Köln.
Das El-De Haus war in Köln Symbol der Diktatur. Philipp Wasmund sind über das was dort geschah in einem Lied, das auf Texten aus dem Gestapo-Gefängnis basiert.
Florian Winters und Marie Görgen von der Szene 93 Autorenwerkstatt lesen eigene Texte, die von der Reichspogromnacht handeln.
Dazu kommen Fotos der Juden damals, denen die Verfolgung galt, und der Grabsteine, die heute noch an sie erinnern.
Das alles am Freitag, den 9.November, um 19.30 in der Evangelischen Kirche in Lechenich, wo es auch etwas zu essen und zu trinken gibt, zubereitet von freundlichen Frauen aus Syrien.